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Kann soziale Kompetenz getestet werden? – Die Medizinischen Universitäten sind uneinig

„Es wird schon seit langem kritisiert, dass beim Aufnahmeverfahren nur naturwissenschaftliche Kenntnisse überprüft werden. Der psychosoziale Aspekt kam bisher zu kurz“, erklärt der Vizerektor für Studium und Lehre der Medizinischen Universität Graz, Gilbert Reibnegger, im Gespräch mit derStandard.at den Grund für den neuen „Situational Judgement“-Test, der die sozialen Fähigkeiten der BewerberInnen testen soll.

Während in Graz ein eigenes Aufnahmeverfahren entwickelt wurde, verwenden Wien und Innsbruck den sogenannten „Eignungstest für Medizinstudien“ (EMS), der auch an Universitäten in der Schweiz angewandt wird. An der Medizinischen Uni Wien sieht man die verpflichtende Überprüfung der Sozialen Kompetenz kritisch. „Experten, auch aus der Schweiz und aus Deutschland sagen, dass Soziale Kompetenz nicht eindeutig zu testen ist“, erklärt Pressesprecherin Nina Hoppe. Deshalb habe man in Wien und Innsbruck ein „Self Assessement“ eingeführt, bei dem BewerberInnen freiwillig und anonym ihre sozialen Fähigkeiten testen können.

Christiane Spiel, Leiterin des Arbeitsbereiches Bildungspsychologie und Evaluation an der Fakultät für Psychologie findet es grundsätzlich begrüßenswert, dass es einen Versuch zur Überprüfung der Sozialen Kompetenz gibt. „Ich kenne den Test der Medizinischen Uni Graz nicht“, stellt sie klar. Sie will den Test deshalb auch noch nicht bewerten. Beim Gesamtanforderungsprofil einer Ärztin oder eines Arztes spiele die Soziale Kompetenz jedoch eine wichtige Rolle. Die große Herausforderung bei der Überprüfung sei, dass es eine eindeutig richtige Antwort gibt, die soziale Erwünschtheit kontrolliert wird (möglichst keine Rolle spielt) und trotzdem eine standardisierte Erfassung der Antworten möglich ist, so Spiel. „Der Test wird vermutlich deshalb geheim gehalten, da sich die Bewerber sonst schon vorab überlegen, welche Antwort erwünscht ist“, sagt sie.

Auch die Sprecherin der Medizinischen Uni Wien sieht ein Problem darin, dass die Antworten im Bereich der Sozialen Kompetenz durch den Effekt der sozialen Erwünschtheit verzerrt werden. „Ein Beispiel: Es wird gefragt, was man tun würde, wenn jemand auf der Straße liegt und verblutet“, erklärt Hoppe. „Jeder weiß, dass ‚Erste Hilfe leisten‘ die richtige Antwort auf diese Problemstellung ist“. Deshalb stelle ein erfolgreiches Absolvieren dieses Tests noch keine Qualifizierung für den Arztberuf dar.

Frauen haben bei den Medizin-Tests in allen drei Städten in den vergangenen Jahren schlechter abgeschnitten als Männer. Ob dieser „Gender-Gap“ geschlossen werden kann, kann Reibnegger noch nicht sagen. Bildungspsychologin Spiel kann sich das für den Bereich Soziale Kompetenz vorstellen. „Wenn der Subtest zur Erfassung der Sozialen Kompetenz gut gemacht ist, dann werden vermutlich die Mädchen besser abschneiden“, erklärt Spiel. Dies gelte deshalb, weil „Mädchen generell im Bereich der Sozialen Kompetenz mehr gefördert werden, häufiger positives Feedback bekommen und sich daher auch mehr in diese Richtung entwickeln“, sagt Spiel. Knaben hingegen würden öfter für Leistung gelobt.

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