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Protest ohne Kontrolle. Horizont Audimax am "Runden Tisch"

Nein, sie sei nicht gewählt, sie vertrete nicht die Besetzenden. Es gäbe da eine Liste, wo sich alle, die für Medienkontakte da sein wollten und sich das zutrauten, eintragen könnten. Und so sei sie auch dazu gekommen, nun im ORF zu sitzen.

Sagt Isabella Weiss. Die wirkt, wie von einem andern Stern. Am Runden Tisch in der ZIB2 vom 30. Oktober. Das Thema: Studierendenproteste. Der Stern von Weiss ist gut. Ein guter Stern, in der Tat, er bietet Diskussionsraum, Schlafplatz und Partysaal für viele. Die da leben, einfach so. Weil’s richtig ist dort. Hier und Jetzt.

Man solle die Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen, lautet eine falsche Weisheit. Man soll sie durchaus nach ihrem Äußeren beurteilen, und zwar kritisch, meine ich. Ein Blick in die Runde an dem Tisch zum Beispiel zeigte: einen TU-Rektor Skalicky, feist-paternalistisch, den smarten Hahn, die zur Funktion erstarrte ÖGB-Vizechefin Sabine Oberhauser, einen blassen „Bildungsexperten“ namens Michael Landertshammer, WKO.

Und wie in scharfem Kontrast, licht gegen grau: Sigrid Maurer und Isabella Weiss gegen den Rest der Runde.

Ein Zufall hatte Weiss ins Studio gebracht. Dennoch brachte sie die Aura des Protests schon in ihrer Erscheinung auf den Punkt. Drückte ihr Blick etwas von der Wut aus, die im Widerstand nolens volens liegt? War ihre simple Erklärung, warum sie in der Runde saß, Spiegelbild der ebenso simplen Tatsache, dass die Uni am Arsch ist und es so nicht weitergehen kann, punktum, ya basta? Und dann spricht eben jemand, nicht für andere, sondern als eine wie andere für sich sprechen würden, säßen sie am Runden Tisch im ORF. War ihre Geradlinigkeit Geradlinigkeit der Menge, die sich nicht mehr verarschen lässt, sondern beginnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen? Wir wissen es nicht, aber wir meinen das jedenfalls so ganz dezidiert.

Auf andere Weise war Sigrid Maurer präsent. Und zwar durch ihre unprätentiöse Art, sich weder klein reden zu lassen, noch auftrumpfen zu wollen, was die Rolle der ÖH bei den Protesten angeht. Also, um es mit einem Wort zu sagen: indem sie Intelligenz verkörperte. Eine kollektive Intelligenz, die zugleich Vernunft ist.

„Es ist ein ganz wichtiges Element von diesem Protest, dass er von der Basis kommt und dass nicht eine führende Kraft vorn steht.“

– sagte die ÖH-Vorsitzende im Standard-Interview vom 30. Oktober. Ja, es erstaunt, wie sehr eine politische Funktionärin, die Maurer ist, nicht nur versteht, sondern vielmehr ganz selbstverständlich respektiert, dass die Protestierenden sich ihre Form als eine Menge selbst geben wollen. Und, mehr noch: dies als wesentliches Element ihrer Dynamik begreift und anerkennt, ja, umsichtig unterstützt.

Umgekehrt kann man an Sigrid Maurer und den Reaktionen, die sie auslöst, deutlich erkennen, wie sehr die Proteste gegen den Strich der üblichen Demokratie, der zwangsweisen Repräsentation des Nicht-Repräsentierbaren, eigentlich gehen. Da wundert sich etwa der Standard-Journalist und bohrt unverdrossen nach: Frau Maurer, die ÖH verliert doch an Relevanz, an Macht, die Studierenden tun doch was sie wollen. Oder, der Journalist formuliert es etwas nobler:

„Offenbar hat sich der Protest verselbstständigt. Viele Studenten sind der Ansicht, dass sie die ÖH als politische Vertretung gar nicht mehr brauchen.“

Er versteht nicht. Versteht nicht, dass ein politisches Gremium wie die ÖH unter glücklichen Umständen, die offenbar eingetreten sind, anders denkt und handelt als die Bundesregierung oder die Gewerkschaft oder sonst eine der üblichen demokratischen Gremien und Institutionen. Auch der Moderator des Runden Tischs versteht nicht, hakt nach, will sich nicht zufrieden geben mit dem Fakt, dass die Proteste im Wesentlichen nicht von Dominanzansprüchen deformiert sind, sondern vielmehr geformt sind von einer Menge, die damit befasst ist, sich selbst zu konstitutieren, als eine soziale Wirkmacht. Genau darin aber liegen die Besonderheit und das besondere Interesse der Proteste. Sie werden vom Raster der Macht und ihres Denkens, ihrer Medien nicht erfasst, nicht begriffen. Sie entkommen ihnen, entgehen der Fahndung nach dem, was sich dingfest, beherrschbar machen lässt.

Der Moderator möchte die Weiss auf den Punkt der Macht hinzwingen: Welche Forderungen gibt es? Wann werden die Studierenden das Audimax verlassen? Ist sie wirklich keine Sprecherin?

Auch die ÖGB-Vizechefin denkt in der Logik der Macht, der Anpassung, der Herrschaft. Sie verkörpert sie, agiert ganz in der Form der Koalition – der widersprüchlich widerwärtigen Mischung aus Kooperation und Konkurrenz mit einem Gegner am Marktplatz der Politik. Und als eine Vertreterin der Disziplinierungsapparatur der Gewerkschaft. Missbilligende Reaktionen erntet sie deshalb von Weiss und Maurer, als sie allen Ernstes vorschlägt, die Industriellenvereinigung möge doch im Verein mit den anderen Sozialpartnern, namentlich der Gewerkschaft, die Studierenden in die von der Wirtschaft nachgefragten Studienrichtungen lenken.

– Man muss schon eine Politikerin sein und Gewerkschafterin alten Schlags dazu, um solchen Unsinn von sich zu geben.

Was bitte soll das für ein Kriterium sein, was die Wirtschaft will, dass Leute studieren? – So wurde das im Wortlaut von Maurer und Weiss nicht gesagt, aber dem Sinn nach. Und hier wieder wird die Befreiung spürbar, die der Potenz nach in den Protesten liegt. Was soll das für ein hirnrissiges Argument gegen die Fortführung der Proteste sein, dass 16.000 Euro am Tag für Ersatzmieten ausgeben werden? Was für ein absurdes Ansinnen, unser Leben nach den Ansprüchen der Wirtschaft ausrichten zu sollen? Was für ein skurriler Zug, Leute vom Studium auszuschließen? Was für eine Zumutung, mit dem Verweis auf „physische Begrenzungen“ (Skalicky) suggerieren zu wollen, dass all jene, die Architektur studieren wollen, dies nicht auch können sollen.

Welch Unverstand, welch bodenlose Frechheit.

Nein, es ist ganz klar zu sagen: Wenn eine Debatte über Bildung Jahre lang dauert, dann führen wir sie eben Jahre lang. Und wenn das Audimax dafür ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre besetzt sein muss. Warum nicht? Als Weiss und Maurer das (in ihren Worten) sagen, merkt man, wie es den Moderator, Hahn, wie es alle am Tisch ein wenig krümmt. Das soll, so wundert sich der Moderator ernstlich, die Antwort auf die rhethorisch gemeinte Frage sein, wie lange man denn noch besetzen wolle? Wenn es eigentlich um eine Bildungsdebatte gehe? Wo doch alle wüssten, dass so eine Debatte nicht kurzum zu beenden ist und also die Studierenden folglich noch sehr lange im Audimax nicht nur protestieren, sondern wohnen müssten?

So sehr gegen die Logik des Bestehenden gehen solche Aussagen: Wenn diese Debatte lange braucht, dann braucht sie eben lange. – Und so richtig sind sie. Atemberaubend richtig.

Es waren kleine Momente, einzelne Aspekte, an denen sichtbar wurde: ein Protest ohne Kontrolle; ohne fremde Hierarchie; als Vorgriff auf eine Zukunft, die weit mehr braucht als eine Besetzung, weit mehr brauchen wird als noch ein halbes Jahr; nicht weil es darum ginge, einen Minister zu Zugeständnissen zu zwingen. Sondern weil die Anliegen der Studierenden sich als das eigentliche Anliegen bewusst werden müssen, das Elend der verkauften Existenz zu überwinden.

Nein, warum soll jemand gerade das studieren, was die Wirtschaft will und glaubt zu brauchen?

Wie absurd.




Grüne/UG: 3 Anträge für die AK-Vollversammlung

Die Grüne/UG hat heute 3 Anträge für die AK-Vollversammlung am 6.Nov. eingebracht.

Die Themen:

1. Abschaffung der Erfolgsquote bei Förder- und Rehabilitationsmaßnahmen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen bzw. psychischer Beeinträchtigung

2. Nein zur Kürzung von finanziellen Ressourcen für Projekte zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung durch das Bundessozialamt

3. Kein Ausschluss zehntausender Erwerbstätiger aus dem System der Sozialversicherung durch die selbsternannte „soziale Heimatpartei“ FPÖ




Presseaussendung Grüne/UG: Volle Solidarität mit den studentischen Protesten in Klagenfurt

GRÜNE/UG + + + VOLLE SOLIDARITÄT MIT DEN STUDENTISCHEN PROTESTEN IN KLAGENFURT + + +

Wir Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen in der AK Kärnten  solidarisieren uns voll und ganz mit euren Protesten gegen die sich ständig verschlechternden Bedingungen an den Universitäten – sowohl für die Studierenden, als auch für die Beschäftigten des wissenschaftlichen wie auch des allgemeinen Personals.

Eure Proteste zeigen einmal mehr, was seit Jahren offensichtlich ist, auch wenn es wechselnde Bundesregierungen nicht wahrhaben wollten und wollen: Die Verbetriebs- und Vermarktwirtschaftlichung der Universitäten mit einer gleichzeitig einhergehenden Entdemokratisierung hat die Universitäten in eine schwere Krise manövriert. Eine vollkommen verfehlte Universitäts- und Wissenschaftspolitik, welche die Studierenden sowie die Beschäftigten an den Universitäten auszubaden haben, hier vor allem die vielen JungwissenschafterInnen und LektorInnen, die unter oft prekärsten Bedingungen leben und arbeiten müssen.

Das Universitätsstudium darf kein Privileg für diejenigen sein, deren Eltern sich’s leisten können. Der Hochschulzugang muss frei sein bzw. endlich werden! Denn so lange breite Bevölkerungsschichten aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse, ihrer „Bildungsherkunft“ oder aufgrund eines sozial selektierenden Schulsystems de facto vom Universitätszugang ausgeschlossen sind, kann von einem offenen Hochschulzugang nicht wirklich die Rede sein.

Die Universitäten sind vom Bund mit jenen erforderlichen Ressourcen  auszustatten, die für den Ausbau von Forschung und Lehre notwendig sind.

Den Universitäten sind endlich jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die  Lernen, Lehren und Arbeiten für StudentInnen wie Universitätsbedienstete unter besten Bedingungen ermöglichen.

Die Universitäten müssen ein Raum werden, der kritisches Denken und eine kritische, demokratische Auseinandersetzung mit bestehenden  gesellschaftlichen Verhältnissen fördert und ermöglicht. Es müssen jene Kompetenzen vermittelt werden, die für die Energiewende, eine Solidarische Ökonomie und eine Überwindung des Kapitalismus notwendig sind.

Die Universitäten müssen umfassend demokratisiert, Mitbestimmungsrechte der StudentInnen, des akademischen Mittelbaus wie auch des allgemeinen Personals wieder hergestellt werden!

In diesem Sinne stehen wir voll und ganz hinter euren Forderungen und  wünschen euch viel Erfolg in eurem Kampf, der auch der unsere sein muss!

Auch wenn unsere Aktionsfelder unterschiedliche sein mögen, ihr steht in eurem Einsatz für eure Ziele nicht allein für ein demokratisches,  emanzipatorisches und solidarisches Bildungssystem!

Her mit der Bildungsmilliarde!

Presserückfragen:
Andreas Exner (AK-Rat), andreas.exner*ÄT*chello.at, 0699 12 72 38 87




Weblog-Empfehlung: "Das 'geheime' Netzwerk der Studierenden"

Eine spannende Darstellung der Organisierungsweise der Studierendenproteste mit einer, wie mir scheint, sowohl inspirierenden als auch nüchternen Einschätzung, mithin: einem klaren Bild der Situation.

„Das ‚geheime‘ Netzwerk der Studierenden“

Die Potenzialität der Proteste liegt mit Sicherheit in der Netzwerkorganisierung. Sobald sich informelle oder gar formelle Hierarchien herausbilden, ist die Dynamik gekappt. Woran sich die Tragfähigkeit der Bewegung jedoch in mittlerer Frist entscheiden wird, ist, ob sie Perspektiven aufmachen kann, die über „wir wollen studieren“ hinausweisen.




Freiheit statt Uni – Keimformen befreiten Lebens

„…entspricht das Studium also keiner Forderung der Gesellschaft, so muss es den Forderungen derjenigen entsprechen, die diese Gesellschaft zerstören und diese Arbeitsteilung aufheben wollen. Nun kann aber die Universität ihrem Wesen nach dieser Forderung gar nicht entsprechen: weder ist sie funktional hinsichtlich der Forderung der kapitalistischen Wirtschaft, noch hinsichtlich der Forderungen jener, die den Kapitalismus stürzen wollen; sie vermittelt weder eine „nützliche Kultur“, noch eine „rebellische Kultur“ (die sich per definitionem nicht vermitteln lässt); sie vermittelt eine „universitäre Kultur“, das heißt eine von jeder produktiven oder politisch aktiven Praxis entfernte Kultur; kurz, es ist ein Ort, wo man seine Zeit weder auf nützliche noch auf interessante Weise verbringen kann. Und keine Reform kann diese Situation ändern. Es kann also nicht darum gehen, dass man die Universität reformiert, man muss sie vielmehr zerstören, um damit gleichzeitig die vom Volk losgelöste Kultur, deren Ausdruck sie ist, (die Kultur der Mandarine) und die gesellschaftliche Schichtenbildung, deren Instrument sie noch immer ist, zu zerstören.“

– schreibt André Gorz 1970 in „Zerschlagt die Universität“ (siehe meinen Eintrag dazu hier).

Was hat sich daran geändert?

Nichts.

Was sollte sich daran ändern?

Alles.

Wie kann das gehen?

– das ist die Frage, die uns umtreiben sollte.

Die Universität ist als Ort der Emanzipation unbrauchbar. Diesen Ort, im ideellen Sinn, muss die Emanzipation unbrauchbar machen. Die Einbildung, dem sei nicht so, gefolgt von der Illusion, man könne aus der Universität noch etwas Gutes machen, von der Ansicht begleitet, sie sei selbst eine Art Hort der Kritik oder Bastion der Intelligenz, ist der schludrigen Selbstgefälligkeit der postmodernen Akademia zu verdanken, die sich damit zufrieden gibt zu sein was sie ist; ja, schlimmer noch, die nichts anderes kennt, als sich selbst und das wahrlich weltbewegende Problem, einem Professor oder einer Professorin zu gefallen und auszumachen, welche der wenigen Sprossen, die viele erklimmen zu können glauben, am meisten Halt bietet für den nächsten Tritt der kleinen Karriere.

Es ist richtig, dass Emanzipation heute überall stattfinden kann und muss. Es ist aber ebenso richtig, dass die Leute im Urwald von Chiapas mehr dafür getan haben, als unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen in den letzten Jahren; ebenso ist freilich richtig, dass diese Proteste jetzt zu unterstützen sind.

Jedoch nicht rückhaltlos.

Eine Bewegung, die unterstützt werden muss, weil sie das Potenzial der Befreiung hat, hat ihren Rückhalt in der Kritik des Bestehenden und dem Blick auf das Nicht-Bestehende. Kritisieren die Studierenden das bestehende System der Verwertung und ihrer eigenen Instrumentalisierung? Wenn ja, wie weit gehen sie dabei? Schrecken sie vor der letzten Konsequenz zurück? Oder öffnen sie sich dem Wagnis der Kritik? Und entwickeln sie ein Gefühl für das, was sein kann? Für das, was ihrem Leben Sinn geben könnte? Oder machen sie einen Schlussstrich, wenn in ihnen die Ahnung aufsteigt, dass ihr bisherigen Pläne null und nichtig sein könnten, sie über den Haufen geworfen werden müssen so wie die Funktionsweise der Gesellschaft über den Haufen geworfen werden muss damit Platz ist für etwas Neues?

Was ist die Universität anderes als ein Ausbildungsinstitut? Eine Anstalt der detaillierten, selbstgewählten Zurichtung auf Zustände hin, die man nicht selbst gewählt hat und der Existenz darin, im Unterschied zum Leben? Wäre sie noch eine Universität, würde sie der lustvollen Kreativität, dem zwanglosen Reflektieren, der Einbindung der Massen und der Kultur des Experiments dienen? – Anstatt der Heranzüchtung der kapitalen Produktivkraft Wissenschaft und der Heerschar prekarisierter Wissensarbeiterinnen und -arbeiter? Wäre sie noch eine Universität, widmete sie sich den brennenden Fragen der Selbstbefreiung der Gesellschaft, angesichts der tiefen Krise, in der wir uns befinden – der ökonomischen, ökologischen, sozialen und auch politischen Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Zustände?

Nein, sie wäre keine Universität. Nein, sie wäre nicht.

Was sie an positiven Ressourcen, Kompetenzen, Infrastrukturen birgt, würde sich in die gesellschaftliche Bewegung der Selbsterforschung und der kollektiven vielfältigen Suchbewegung nach einem neuen Leben auflösen. Der Rest ist für den Abfall.

Der Gebrauchswert eines Studiums besteht darin, für einen Job vorzubereiten. Sein Gebrauchswert ist nichts anderes als der künftige Tauschwert der Ware Arbeitskraft, die der Anstalt Universität in ein paar Jahren entsteigen soll. Besser früher als später. Die Studierenden stoßen sich der Mehrzahl nach an dem Fakt, dass sie als das gelten, was sie sind: Kostenfaktoren des Kapitals. Sie üben sich darin, zu zeigen, dass sie wichtig sind für den Forschungsstandort, für die Zukunft dieser Wirtschaftsweise; einer Wirtschaftsweise, die sie aber just zu Instrumenten degradiert, die sie nicht sein wollen. Oder nicht gänzlich sein wollen.

So treiben sie zwischen dem Willen zur Anpassung und verweisen auf ihren künftigen Tauschwert als Produktivkraft des Kapitals einerseits und dem rebellischen Widerspruch, in ihre eigenen Rechte als Menschen eingesetzt zu sein, sich selbst entfalten zu können in eine Richtung, die sie selbst bestimmen und den Gebrauchswert von Diskussion, Kritik, Belebung im Geist und am Körper zu erfahren, andererseits.

Wer die Universität ändern will, muss sie zerschlagen, als Institution, nicht als Tisch und Sessel. Oder, wem das lieber ist: muss sie überwinden, auflösen, integrieren mit der Gesellschaft. Nicht als „university goes public“, sondern als ein Zusammenhang von Beziehungen, der sich seines Elitismus und der Selektion für „Höheres“ an den Kommandospitzen von Forschungsstandort, Staat und Kapital entledigen muss.

Das kann nur gelingen, wenn Studierende und Nicht-Studierende eine gemeinsame Perspektive eines anderen Lebens, einer Produktionsweise, die nicht kapitalistisch ist, entwickeln.

Es gibt dafür viele Beispiele. Schaut Euch um!

In Brasilien etwa entstanden in den letzten Jahren an vielen Universitäten die Incubadores der Solidarischen Ökonomie – kleine, widerständige Gruppen von Studierenden und ProfessorInnen, die sich den Problemen widmen, die entstehen, wenn Menschen der Verelendung entkommen und der Kapitalisierung ihres Tuns entgehen wollen. Wie übernimmt man eine Fabrik? Wie betreibt man biologisch Landwirtschaft, ohne für „Ja, Billa“ und „Ursprung Hofer“ sich einen abzurackern? Wie schrumpfen wir die Wirtschaft ein, ohne dass Herrschaftsverhältnisse noch drückender, das soziale Leiden noch unerträglicher wird? Wie entwickeln wir egalitäre Selbstorganisation ohne staatliche Förderung? Wie werden wir subversiv, dort, wo wir gerade sind? Wie finden wir in unserer Dissidenz zu einer Konsonanz gegen das Bestehende?

Kann die Universität uns darauf Antworten geben?

– Na eben.

Deshalb: Selbstorganisation von Studierenden muss einher damit gehen, Nicht- und Nicht-mehr-Studierende anzusprechen, sie mit den Fragen dieser Zeit zu bedrängen, ihnen klar zu machen, dass es so nicht weitergeht. Wie trivial und wahr zugleich. Es wird keinen neuen langen Aufschwung mehr geben; es wird keine Vollbeschäftigung mehr geben; die Einkommen werden nicht mehr in Summe wachsen; das Kapital wird keine Perspektiven mehr bieten; die Folgen des Klimawandels werden immer drückender werden; die fossile Basisenergie dieser gewohnten Form von „Leben“ wird immer knapper werden; die lucky few werden immer fewer und immer weniger lucky sein.

Wem der Studierenden ist diese Herausforderung bewusst? Wer hat von Peak Oil gehört? Wer versteht, dass Wirtschaftswachstum und Klimawandel Hand in Hand gehen? Wer ahnt, wieviele Lebenspotenziale durch die Arbeit unter dem Kommando des Kapitals – der Geschäftsführung, dem Management, dem Markt, dem Profit – zerstört, uns täglich genommen werden? Sind wir uns bewusst genug dessen, was auf dem Spiel steht?

Die Universität ist Teil des Problems. Ihre Funktion ist die Steigerung der Produktivkraft der dem Kapital untergeordneten Arbeit – Heranbildung der Kompetenz zum Management, des Willens zum Marketing, zur verfeinerten Disziplinierung, Fortschreibung und Abstützung der entwickelten Ideologie, der Lehre von der Naturgegebenheit aller Verhältnisse, Steigerung der versachlichten Macht der fossilistischen Maschinerie. Was die Universität an Freiräumen gewährt und zulässt, dient dem unentbehrlichen Mindestmaß zur Entwicklung intelligenter Fähigkeiten, ohne die das Kapital sich heute nicht mehr reproduzieren kann. Intelligent, das sei erläutert, heißt nicht unbedingt vernünftig.

Das elevate! Festival in Graz hat gezeigt, dass die Solidarische Ökonomie spontane Inspiration sein kann dafür, etwas Neues zu versuchen: Sich nicht völlig von der Lohnarbeit und der dafür erforderlichen Ausbildung abhängig zu machen; Gemeingüter und -dienste zu entwickeln und dort, wo sie existieren, nach besten Kräften zu stärken; gegen repressive Arbeitsmarktpolitik zu opponieren; dies mit der Forderung nach einem bedingungslosen Zugang zum Lebensnotwendigen – als Grundeinkommen, als eine soziale Infrastruktur – zu verbinden. Warum nicht eine Food Coop gründen? Warum nicht einen Verband von Wohngemeinschaften bilden und zum Beispiel Einkäufe gemeinsam abwickeln? Warum nicht Gemeinschaftsgärten anlegen und erweitern? Warum nicht an den Universitäten Freiräume für die Entwicklung und Beratung Solidarischer Ökonomie erkämpfen? Warum nicht alternativ-gewerkschaftlich aktiv werden? Alles ist besser als eine Ausfinanzierung des eigenen Studiums zu fordern um einen „guten Job“ im Dienst von Kapital und Staat zu bekommen. Alles ist besser als zu beklagen, dass die Uni zum Unternehmen werden solle, nur um flugs nach dem Studium in einem Unternehmen unterkommen zu wollen.

Forderungen können wichtig sein. Aber sie können auch unnötig einengen, die eigene Kraft limitieren, den eigenen Horizont beschränken, die Potenzialität unter Verschluss halten. Zu messen ist der Sinn einer Forderung an dem, was sie übersteigt, sie antreibt, ihr zugrundeliegt – zu messen ist sie nicht nur an dem, wovon sie weg will, sondern vor allem an dem, worauf sie hinauswill.

Wer setzt heute mehr Hoffnung in die Ausbildung der „eigenen“ Fähigkeiten und Kompetenzen als in die Entwicklung eines sozialen Zusammenhangs, der tragen kann? Wer setzt mehr Herzblut in die Akkumulation von Zeugnissen als in den Aufbau einer gesellschaftlichen Alternative, die im Hier und Jetzt beginnt? Wer tut das? Ich hoffe, wir tun es alle immer weniger. Und mehr von dem, was eine ebenso vielfältige wie tragfähige Gemeinschaftlichkeit entstehen und sich ausdehnen lässt.

Diese Generation hat das Unglück, in eine Zeit geboren zu sein, die für sie als allerletzte ein Versprechen fortschleppt, das sich nicht mehr erfüllen kann. Die Zeit des Kapitals als einer historischen Epoche beginnt abzulaufen. Wird der Kapitalismus als ein Weltsystem noch 20 Jahre existieren oder 30? Oder vielleicht 40? Das kann niemand wissen. Was aber klar ist: Wer die Universität noch einmal für ein „schönes“ Leben unter seinem Regime ummodeln will, ist bereits jetzt von gestern.

Ein ganz anderes Leben ist zu gewinnen.

Warum nicht auch durch Studierendenproteste…




Vortrag/Workshop: Vom Charakter der Krise – Wie auf Rassismus und Antisemitismus wirksam reagieren? – 13./14.11., Villach/Klagenfurt

13.11.: Vortrag Norbert Trenkle (Gruppe Krisis) und Statements der die Veranstaltung unterstützenden Organisationen zu ihren Erfahrungen und Gegenstrategien in punkto Krise/Rassismus

Ort: Gasthof Kasino Villach, Kaiser-Josef-Platz

Zeit: Fr., 13.11., 19.00

14.11.: Workshop zur Vertiefung mit Norbert Trenkle

Ort: VHS Lehrsaal, Gabelsbergerstraße 24

Zeit: Sa., 14.11., 9.30-15.30 (mit Mittagspause)

Anmeldung zwecks Erleichterung der Planung erbeten bei andreas.exner*ÄT*chello.at oder Tel. 0699 / 127 23 887

Beide Veranstaltungen sind kostenfrei!

Steigende Arbeitslosigkeit und Verunsicherung führen zu einem Anwachsen von Fremdenfeindlichkeit und gewalttätigen Übergriffen gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe oder / und nicht-deutscher Muttersprache. Unterschwellig ist auch ein Wiedererstarken des Antisemitismus festzustellen.

Ob man nun als Arbeitnehmer/innenvertreter/in, in Menschenrechtsfragen, bei interkulturellen Initiativen, in Medien, in kirchlichen Zusammenhängen, im sozialen Bereich, als Pädagog/in … tätig ist: Es gilt, diese Problematik offensiv zu thematisieren, denn Rassismus und Antisemitismus sind mörderische Ideologien und für viele in diesem Land lebensgefährlich. Sie schaden nicht zuletzt auch denen, die sie vertreten. Denn sie machen eine Alternative zu Arbeitslosigkeit und Unsicherheit unmöglich.

Zu diesen Fragestellungen haben wir Norbert Trenkle eingeladen. Norbert Trenkle, geb. 1959, aufgewachsen in Lateinamerika, lebt in Nürnberg. Durch das Studium der Betriebswirtschaft geschädigt, wurde er in die Ökonomiekritik getrieben. Freier Publizist; Redakteur der Zeitschrift krisis. Mitherausgeber von „Dead Men Working“, Münster 2004 (2. Auflage 2005). Norbert Trenkle hat sich theoretisch mit Krise und Rassismus intensiv auseinandergesetzt und ist selbst im Bereich Migration tätig.

  • Input des Referenten
  • Erfahrungen und praktische Strategien der Initiativen
  • Diskussion

Vertiefung beim Workshop

Eine gemeinsame Initiative von Aktionskomitee für mehr Menschlichkeit und Toleranz in Kärnten, AK-Klagenfurt (angefragt), ATTAC-Kärnten, Bund Sozialdemokratischer Akademiker/innen Villach, Evangelische Superintendentur Kärnten (angefragt), Grüne und Unabhängige Gewerkschafter/innen, Katholische Arbeitnehmer/innenbewegung Kärnten / Forum Kirche und Arbeitswelt; Kulturinitiative Kärnöl, ÖGB-Kärnten (angefragt), ÖIE-Kärnten / Bündnis für Eine Welt, Social Innovation Network, PIVA – Projektgruppe Integration von Ausländer/innen, Verein Erinnern …Weitere Träger/innen und Unterstützer sind hochwillkommen!




"Zerschlagt die Universität" – Studierendenproteste radikalisieren – auch in Klagenfurt

Jede Generation von Studierenden hat ihre Besetzung.

Soweit ist daran nichts Besonderes. Eher ist das schon der übliche Gang der Dinge. Auch der Autor dieser Zeilen hat seine Streiks, Demos, Besetzungen und so weiter durchgemacht. Andere Leute, die mehr an Lebensjahren zählen, haben noch mehr Streiks, Demos, Besetzungen und so weiter hinter sich und ihr Urteil ist nicht weniger nüchtern.

Irgendetwas wird also falsch gemacht, nicht richtig begriffen, sodass jede Generation in die selbe Sackgasse läuft.

Wenn ich mich erinnere, mit welcher Einstellung und mit welchem Bild der Auseinandersetzungen im Zuge der ersten neoliberalen „Reformen“ der Universitäten in Österreich in den 1990er Jahren ich an den Protesten teilnahm, dann fällt mir auf, dass mir damals jeder Bezug zu einer übergreifenden gesellschaftlichen Wirklichkeit fehlte. Mir fehlte auch jede Idee von der umfassenden Dynamik der kapitalistischen Angriffe auf soziale Freiräume, die wir damals – ohne ein adäquates Bewusstsein davon – in der Tat und sehr konkret bekämpften. Und mir fehlte vor allem eine Perspektive.

Ich denke, ich war zur Zeit „meiner“ Studierendenproteste in der Mitte der 1990er Jahre nicht weniger intelligent oder aufmerksam und interessiert als meine Kolleginnen und Kollegen. Dennoch hatte ich von Kapitalismuskritik nichts vernommen, auch nicht danach gefragt oder sie geäußert und ein Verständnis der übergreifenden Zusammenhänge – so muss ich heute sagen – war bei mir ebensowenig ausgeprägt.

Das, so bin ich überzeugt, ging den meisten von uns so.

Und deshalb, so bin ich ebenfalls überzeugt, ist es kein Wunder, dass unsere Proteste nichts bewirkt haben, was ihre offenkundigen Ziele angeht. Im Gegenteil, die Ökonomisierung der Bildung und die Zurichtung der Studierenden zur Intelligenz des Kapitals einerseits, und zur billigen, perspektivlos prekarisierten Wissensarbeit andererseits, die ging munter weiter. Immerhin: ich und viele andere machten Erfahrungen des Widerstands, Erfahrung des kleinen Ausbruchs aus Verhältnissen, die von Konkurrenz, Isolation und dem Ausgeliefertsein an die gesellschaftlichen Zwänge geprägt waren. Ein kleiner Erfolg, fürwahr, aber viel zu wenig.

Die einzige Studierendenbewegung, die etwas real verändert hat, waren die 1968er. In ihrem Gefolge kamen ein paar Marxistinnen und Marxisten zu Professuren, auch der Feminismus erfuhr einen universitären Aufschwung. Mitunter wurde die studentische Partizipation eingeführt bzw. ausgeweitet. Doch diese durchaus bescheidenen Erfolge der 1968er waren einer Bewegung zu verdanken, die weit mehr als eine Studierendenbewegung war. Und sie war weit radikaler als Studierende heute sind, die die Hörsäle besetzen, weil ihnen „finanzielle Hürden in den Weg gelegt werden“. Im Grunde beklagen sie, wenn so argumentiert wird, dass sie nicht die Mittel bekommen, um sich für den Kapitalismus wirklich fit zu machen.

Sicherlich, es gibt auch kleine Gruppen von Studierenden, die deutlich machen, dass es um grundsätzlichen Protest gegen das Zwangsregime des Kapitals, der Verzweckung der Bildung, gegen Zerstörung von Freiräumen, der Funktionalisierung von Intellekt und Kreativität geht. Und es äußert sich auch eine Lust an der Revolte, eine Lust daran, das Zwangssystem in kleinen Facetten und Momenten bloß zu stellen. Darauf zu scheißen, wenn entsetzte Uni-Bürokraten beklagen, „wieviel Geld“ an einem Tag Besetzung verloren geht. Wirklich darauf zu scheißen.

Denn: Kein Tag kostet Geld. Jeder Tag gehört uns. Jeder Tag, an dem eine Rechnung angestellt wird, wieviel er „kostet“ ist ein verlorener Tag, ein Tag, der nicht mehr aufgeholt werden kann, denn das Leben ist begrenzt. Wer noch nicht völlig tot ist, wird nicht rechnen, was ihm und ihr das Leben kostet, sondern das System der Kosten, der allgemeinen Beziehung von Kauf und Verkauf über den Haufen werfen. Und eine Alternative des guten Lebens ohne Stress und Zwang mit aufbauen helfen. Ansatzpunkte gibt es inzwischen dafür genug.

Ich höre schon den Aufschrei mancher: aber bitte nicht so radikal; doch nicht so aggressiv; kann Kritik denn nicht konstruktiv sein; der Wettbewerbszwang, dem kann doch niemand entfliehen; und ich höre schon die bange Frage, ob unsereins denn gar keine Verantwortung mehr kenne – für das Wirtschaftswachstum, die Zukunft unserer Kinder, die Jugendlichen, die Wissenschaft, den Forschungsstandort, die Arbeitsplätze, für Kärnten… oder wer weiß was sonst noch alles.

Nein, unsereins kennt keinerlei Verantwortung für ein System, das so rasch wie möglich überwunden werden muss. Jene, die Verantwortung für das System und seine Disziplin einfordern, sind längst bar jeder menschlichen Verantwortung. Sie tun so, als hätte business as usual irgendeinen Sinn, irgendeine Perspektive. Sie mögen ihre kläglichen Pfründe, miesen Pöstchen und Posten, ihre armseligen Karriereleitern, ihre entsetzliche Bornierung, elende Selbstzurichtung und himmelschreiende Indolenz darin gut aufgehoben wissen. Argument erwächst daraus keines.

Da halten wir es lieber mit dem Philosophen und Theoretiker André Gorz, der zur Zeit der 1968er die Kritik auf den Punkt gebracht hat:

„Die Universität kann nicht funktionieren, also muss man verhindern, dass sie funktioniert, damit diese Funktionsunfähigkeit ans Tageslicht kommt. Keine irgendwie geartete Reform kann diese Institution lebensfähig machen; also muss man die Reformen bekämpfen, sowohl hinsichtlich ihrer Auswirkungen als auch ihrer Ziele und zwar nicht weil sie gefährlich, sondern weil sie illusorisch sind. Die Krise der Universität reicht (wie wir zeigen werden) über den Hochschulbereich hinaus und umfasst in ihrer Gesamtheit die gesellschaftliche und technische Arbeitsteilung; also muss diese Krise zum Ausbruch kommen. Man kann darüber diskutieren, wie und auf welche Weise diese Krise herbeizuführen ist. Es gibt gute und weniger gute Möglichkeiten. Allerdings ist Diskussion und Kritik nur dann sinnvoll, wenn sie von denen kommt, die eingesehen haben, dass der Reformismus unbedingt abzulehnen ist und zwar als Ganzes.“

Um nicht einen sinnlosen Kampf ohne Perspektive zu führen, der sich auch diesmal wieder abzeichnet, ist eine Lektüre von Gorz Text aus dem Jahr 1970 nach wie vor ebenso dringlich wie erhellend. Abrufbar hier.

Ebenso lesenswert ist der Schlüsseltext des Pariser Mai 1968, der „Über das Elend im Studentenmilieu“ handelt.

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich solidarisiere mich voll und ganz mit den Forderungen der Studierenden. Nur wird ihre Wirkung äußerst eingeschränkt bleiben, solange sie die Fehler der früheren Generationen wiederholen. Eine Bewegung, die die Zustände an den Universitäten wirklich ändert, und zwar im Sinne der Befreiung, muss sich mit anderen sozialen Bewegungen zusammenschließen und gegen die kapitalistische Produktionsweise, ihre zerstörerischen und völlig sinnlosen Zwänge, die Konkurrenz, die Machthierarchien, die Abtötung der Leidenschaften, den Staat und seine Parteien kämpfen.

Infos zu den Protesten: Unibrennt

Workshop „Zerschlagt die Universität“.




Kristina Bayer zu Solidarischer Ökonomie beim elevate! in Graz 2009

Hier gibts das Video




Elevate the crisis: Großer Erfolg – A.Exner zu Solidarischer Ökonomie, Krise, Ökologie

Das diesjährige elevate-Festival in Graz war ein großer Erfolg. Mit insgesamt 7.000 BesucherInnen wurden die Erwartungen der Veranstalter übertroffen. Rund 2.000 Leute verfolgten insgesamt die Diskussionsveranstaltungen.

Zu diesen war ich auch geladen.

Am Podium zur sozial-ökologischen Krise und zur Frage der Systemveränderung wurde überraschend radikal – sowohl kapitalismus- als auch staatskritisch – diskutiert. Die Einschätzungen der Zukunftsperspektiven im Fall einer Fortschreibung des Kapitalismus waren düster. Eine neue, radikale Klimabewegung, die nicht mehr wesentlich auf Verhandlungen setzt, sondern auf eine praktische Veränderung der Produktionsverhältnisse und direkte Aktionen wurde ebenso als eine sich anbahnende Alternative diskutiert wie die Solidarische Ökonomie.

Bei unserem Workshop, den Kristina Bayer und ich zur Solidarischen Ökonomie abhielten, waren rund 25 Interessierte zugegen.

Die Podien wurden live über octo.tv übertragen.

Auf der Website des elevate-Festivals sind Video-Roundups verfügbar, die Podien, Workshops und Musikveranstaltungen zusammenfassen.

Video Roundup: Sozial-ökologische Krise, Systemveränderung, Solidarische Ökonomie

Ein Interview von Korso mit Kristina und mir folgt in Bälde.




Soziale Sicherheit und die globale Krise – Input bei der Konferenz "Social Developments in China and Europa", 28.9., Wien

Soziale Sicherheit und die globale Krise

Andreas Exner, Wien, 28. Sept. – Konferenz “Social Developments in China and Europe

Nur wenige ahnten 2007, welch gravierende Folgen die Turbulenzen im US-amerikanischen Immobilienmarkt für die Weltwirtschaft zeitigen würden. Noch weniger ahnte man das finanzielle 9/11, wie man den Bankrott der Lehmann Brothers 2008 später nannte. Und kaum jemand hätte gedacht, dass der Kapitalismus mit Hochgeschwindigkeit in eine systemische Krise gerät, die ihn erschüttert wie es die Welt seit der Krisenperiode der Zwischenkriegszeit nicht mehr gesehen hat. Dennoch gab es solche Leute, und ihre Analysen helfen uns.

Kapitalismus

Ich bin hier eingeladen, einige Gedanken zu den Herausforderungen, die sich der sozialen Sicherheit in Zeiten einer globalen Krise stellen zu entwickeln. Diese Aufgabe beinhaltet dreierlei: (1) welchen Charakter hat die Krise, (2) welche Rolle spielt die soziale Sicherheit, (3) wie beeinflusst die Krise soziale Sicherheit? Alle drei Aspekte haben mit der einen Frage zu tun, in welcher Art von Gesellschaft wir eigentlich leben.

Bevor wir ein bisschen ins Detail gehen, sollten wir einen kurzen Stop machen und uns daran erinnern: der Diskurs der Krise ist alles andere als neu. Sicherlich, die Herausforderungen, der Charakter der jetzt aufgebrochenen Krise mögen neu oder teilweise neu sein. Die Krisendiagnose aber ist dies nicht. In der Tat war der Diskurs der Krise ein ständiger Begleiter der weltweiten ökonomischen, politischen und sozialen Entwicklungen seit Beginn der 1970er Jahre. Ich mache an dieser Stelle noch einen zweiten Einschub, und zwar: Reden wir über den Kapitalismus, wenn es darum geht zu begreifen, worin die Misere, in die wir seit 2007 geraten sind, eigentlich besteht und warum all dies passiert ist.

Der Kapitalismus ist eine komplexe Gesellschaftsformation und seine Analyse entsprechend kompliziert. Seine Kernmechanismen sind jedoch nicht schwer zu verstehen. Wir können sie klar erkennen, wenn wir – mit einer gewissen Intelligenz – unsere Lebens- und Produktionsweise mit früheren Epochen vergleichen. Der große Soziologe Immanuel Wallerstein hat immer wieder betont, dass der Kapitalismus in seiner offensichtlichsten Gestalt ein System ist, in dem für Profit produziert und der Profit in die Produktion von noch mehr Profit investiert wird. Dieser Prozess der fortwährenden „Verwertung des Werts“, wie Karl Marx das nannte, ist der Prozess der Akkumulation des Kapitals.

Das Hauptziel der Produktion in diesem System ist der Profit. Jeder Akteur – ob Haushalt, Unternehmen oder Staat – der versucht in einer Weise zu handeln, die der Profitproduktion im Weg steht, wird darin bestraft. Jeder Akteur, der die Profitproduktion fördert, wird belohnt. Auf diese Weise kreiert das System seine eigenen psychologischen und institutionellen Voraussetzungen, die ihrerseits das Profitmotiv verstärken. Krise heißt unter den Vorzeichen des Systems: Fall der Rate des Profits, das heißt dass der Profit im Vergleich zum Kapitalvorschuss immer geringer wird; und sie heißt Fall der Profitmasse, der Gesamtsumme des Geldüberschusses, der die Systemexpansion letztendlich speist.

Krise

Eine solche Situation hat die Weltwirtschaft Ende der 1960er Jahre und im Großteil der 1970er Jahre erlebt: Die Profitraten fielen; Unternehmen hatten mit reduzierten cash flows zu kämpfen und verringerten im Gegenzug ihre Investitionen, weil der fordistische Modus der Produktivitätssteigerung auf Barrieren traf. Tatsächlich war dies allerdings kein rein ökonomischer Prozess, sondern zugleich ein sozialer: Erstens waren dafür nicht allein technische Parameter verantwortlich, sondern es waren auch die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Produktivitätsfortschritte unterminierten, etwa indem sie der Beschleunigung der Fließbänder Widerstand entgegen setzten. Zweitens kämpften sie, durch die Phase der Vollbeschäftigung gestärkt, recht erfolgreich für Lohnerhöhungen und eine Ausweitung sozialer Sicherheiten. Drittens erodierte der soziale Konsens des fordistischen Wachstumsmodells, wofür 1968 die Chiffre liefert. So entstand Anfang der 1970er auch eine neue Art ökologischen Bewusstseins: eine Minderheit erkannte den Klimawandel als das kommende Problem der Menschheit, und Ressourcenverknappungen wurden seit 1973 von vielen als eine mögliche Bedrohung angesehen.

Kurz gesagt bestimmte die zwei folgenden Dekaden, die man die Periode des Neoliberalismus taufte, der Versuch, die Profitraten wieder zu erhöhen: indem man die Organisationen der Arbeiterschaft zurückschlug, neue Formen sozialer Kontrolle durch eine Ausweitung von Marktprinzipien schuf, subversive Wünsche nach Freiheit durch Umorganisation der Unternehmen und der Arbeitsverhältnisse für die Kapitalakkumulation funktional gestaltete, und die Gefahr der Ressourcenverknappung durch eine Attacke auf die Drittweltstaaten und eine Erhöhung der Ressourceneffizienz parierte.

Dieser Versuch, war, wie eine Minderheit sozialer Bewegungen und einige Beobachterinnen und Beobachter zutreffend analysierten, langfristig zum Scheitern verurteilt: ökonomisch, da die Profite im Rahmen einer wachsenden Verschuldung, insbesondere in den USA, gesteigert wurden; sozial, weil man die Ausbeutung der Arbeitskraft intensivierte; ökologisch, weil das Wachstumsparadigma eine Re-Legitimisierung erfuhr, wie die Phrasen vom „qualitativen“ oder „nachhaltigen“ Wachstum anzeigten. Die Profite erholten sich, das ökonomische Wachstum im Sinn der Kapitalexpansion blieb aber vergleichsweise schwach. Tatsächlich stiegen die Kapitalkosten fortwährend, während die Produktivität der Arbeit nicht im selben Maße zunahm. Damit waren die fordistischen Krisentendenzen nach wie vor in Kraft – vor diesem Hintergrund erscheint der Neoliberalismus wie ein kurzes Intermezzo auf einem langen Weg nach unten.

Seit 2007 kann es sich dank der Kämpfe sozialer Bewegungen politisch niemand mehr leisten, die Klimakrise zu ignorieren. Ressourcenverknappungen wurden vor dem ökonomischen Einbruch 2008 in Gestalt noch nie da gewesener Preissteigerungen sichtbar. Die Debatte um Peak Oil, der Höhepunkt der globalen Erdölproduktion und das Ende des billigen Öls, hat den Mainstream erreicht. Keine Lösung für die weltweit fallende Rate des Profits ist in Sicht, abgesehen von Illusionen einer schnellen Erholung, die auf dem kurzfristigen Effekt schuldenfinanzierter öffentlicher Konjunkturprogramme gründen.

All diese Probleme wurzeln in der kapitalistischen Produktionsweise. Die abstrakte Verwertung des Werts benötigt konkrete physische Ressourcen, und die sind begrenzt; sie hängt ab vom Konsens der Menschen, kontrolliert und für die Verwertung instrumentalisiert zu werden, und dieser Konsens ist limitiert; schließlich benötigt sie wachsende Abfallhalden und Menschen, die Verschmutzung akzeptieren, was ebenfalls offensichtliche Grenzen hat. Die Grenzen des Wachstums sind die Limits der physischen und menschlichen Welt im Verhältnis zu einem grenzenlosen Expansionsprinzip, der positiven Rückkoppelungsschleife des abstrakten ökonomischen Wachstums. Die Grenzen des Wachstums treten als Krise in Erscheinung. Weil diese Grenzen auf verschiedenen Ebenen erreicht werden, hat mit der gegenwärtigen Krise eine allgemeine Krise des Kapitalismus eingesetzt.

Soziale Sicherheit

Was heißt all das für soziale Sicherheit? Lassen Sie mich zu allererst betonen: Soziale Sicherheit ist, anders als ökonomisches Wachstum, keine inhärente Eigenschaft des Kapitalismus. Sie ist immer und in jedem Aspekt das Ergebnis populärer Kämpfe, die der kapitalistischen Expansion Grenzen setzen. Allerdings konnten diese Kämpfe bis dato in die Kapitalverwertung inkorporiert werden und hatten mitunter den indirekten Effekt, die Verwertung noch zu befördern. So etwa ersetzten öffentliche Dienstleistungen teilweise die Familie als soziales Sicherungsnetz und erlaubten damit im Gegenzug eine fortschreitende Ausweitung von Lohnarbeit und Kapital.

Moderne soziale Sicherheit im Sinn öffentlicher Dienstleistungen ist eine Funktion der Kapitalakkumulation: Erstens wird sie aus Steuern auf den Verwertungsprozess finanziert, seien es Steuern auf Löhne, Waren oder Profite; zweitens treibt sie indirekt die Kapitalexpansion voran, indem familiäre und andere nicht-warenförmige Beziehungen durch öffentliche Sicherungsstrukturen ersetzt werden; drittens ist soziale Sicherheit notwendig, um die Kapitalexpansion selbst zu sichern, indem man auf diese Art den Konsens der Lohnarbeitenden zu ihrer Kontrolle durch das Kapital erhält.

Die Kapitalexpansion ist nun in einer tiefen Krise. Der Staat ist eingesprungen, um das Kapital zu retten und verhält sich als „lender of last resort“ für das System. Das exzessive Wachstum der Verschuldung wird die Krisentendenzen des Neoliberalismus noch verschärfen. Früher oder später schlägt die Staatsverschuldung auf das System zurück – mögliche Szenarien reichen von Staatsbankrotten über Inflation zu Deflation. Noch viel wichtiger aber ist, dass das Wachstum und seine Krise uns mit einem gravierenden ökologischen Dilemma konfrontieren: Die notwendige Restrukturierung in Richtung erneuerbarer Energien erfordert Wirtschaftswachstum; allerdings würden im Fall eines ökonomischen Aufschwungs die Verknappungen rasch wieder auf der Tagesordnung stehen und die Wirtschaft in die nächste Krise stürzen. Freilich verknappen sich Ressourcen auch in der Krise weiter, was den Shift zu den Erneuerbaren immer schwieriger machen wird.

Erreicht die Kapitalexpansion ihre Grenzen, so gerät die soziale Sicherheit fortschreitend unter Beschuss. Der einzige Weg aus dieser Sackgasse der historischen Entwicklung besteht darin, die kapitalistische Produktionsweise hinter uns zu lassen. Eine Solidarische Ökonomie, die sich auf die Bedürfnisbefriedigung orientiert anstatt auf die Produktion von Profit ist ein notwendiger Anfangspunkt, ein bedingungsloses Grundeinkommen, und, noch viel wichtiger, eine soziale Infrastruktur für alle ein weiterer. Eine neue Produktionsweise und eine neue Weise sozialer Sicherheit sind beide nötig, um die unausweichliche Schrumpfung der kapitalistischen Ökonomie zu ermöglichen und Prosperität neu zu definieren.