Dr. Zittel in der KTZ: "Öl wird so teuer bis es weh tut"
KTZ, 24. Oktober 2009
„Öl wird so teuer, bis es weh tut“
Über das Ende des Öl-Zeitalters, das Potenzial von Alternativenergien, Beharrungskräfte und die Gefahr eines totalen Systemzusammenbruchs: Der Energieexperte Werner Zittel im Gespräch mit Eva Weissensteiner.
KLAGENFURT. Der Physiker Werner Zittel ist Senior Scientist beim deutschen Energieberater Ludwig-Bölkow-Systemtechnik und erstellt für die Energy Watch Group Berechnungen über die Verfügbarkeit fossiler Rohstoffe. Die KTZ traf den Experten zum Interview.
Herr Zittel, Sie sagen, wir hätten den Zeitpunkt von Peak Oil bereits erreicht. Was bedeutet Peak Oil?
Zittel: Es bedeutet, dass wir das weltweite Fördermaximum von Naturöl erreicht haben. Dass also die Fördermenge von nun an kontinuierlich abnimmt. Meinen Berechnungen zufolge wurde dieser Gipfel 2008 erreicht. Das fiel ziemlich genau mit dem Beginn der Wirtschaftskrise zusammen. Ich würde sogar sagen, dass die Wirtschaftskrise dadurch mit ausgelöst beziehungsweise verschärft wurde.
Im Herbst haben sich die Mineralölkonzerne überschlagen mit Jubelmeldungen über neue Erdölfunde. Passt das mit Ihren Berechnungen zusammen?
Zittel: Ja natürlich. Ich sage ja nicht, dass man nichts mehr finden wird. Ich sage, dass man tendenziell seit Ende der 70er Jahre weniger findet. Das kann man statistisch beweisen.
Sie sagen, Peak Oil hat die Krise mitverursacht. Was wird passieren, wenn es zum Aufschwung kommt?
Zittel: Die momentan favorisierte Denkweise ist: Wir haben jetzt die blöde Finanzkrise, die ist bald vorbei und dann können wir weiterwurschteln. Aber so wird es nicht sein. In dem Moment, wo wir den Energieverbrauch erhöhen, wird der Ölpreis sofort wieder hinaufgehen, weil die Fördermenge nicht entsprechend gesteigert werden kann. Ein bisschen schon, aber nicht genug. Ich bin mir sehr sicher, dass wir das Förderniveau von vor 2008 nicht mehr erreichen werden.
Womit müssen wir rechnen – mit Ölpreisen wie im Vorjahr?
Zittel: Ich sage das ganz emotionsfrei: Der Ölpreis wird so stark ansteigen, bis er uns weh tut. Wenn wir mehr verbrauchen wollen als verfügbar ist, ist der Preis das einzige Regulativ. Erst wenn wir weniger verbrauchen, wird er wieder sinken.
Die meisten Leute denken bei Öl automatisch an Treibstoff. Aber Erdöl ist praktisch überall drin – in Lebensmitteln, in Verpackungen, in Medikamenten, in Waschmitteln … Wenn wir früher oder später ohne Öl auskommen müssen – wie soll das gehen?
Zittel: Es gibt durchaus Alternativen zu Erdölprodukten. Gerade im chemischen und pharmazeutischen Bereich haben wir uns natürlich stark an den Einsatz von Erdöl gewöhnt. Das zu ersetzen wird schwierig. Es ist aber machbar. Es wird eben eine Agrochemie geben statt einer Petrochemie. Was allerdings bedeutet, dass wir stärker auf die flächengebundenen Ressourcen zurückgreifen müssen.
Was bedeutet das?
Zittel: Solarpanels muss man aufs Dach legen, dazu braucht man Fläche. Wenn man Biomasse erzeugen will, braucht man Boden. Der begrenzende Faktor für die künftige Energiegewinnung wird die Fläche sein, die wir zur Verfügung haben.
Sie haben Biomasse genannt – stehen wir da nicht vor der Frage „Tank oder Teller“?
Zittel: Biomasse kann ja nicht die alleinige Alternative sein. Ich nenne Ihnen Windenergie, Ozeanenergie, Geothermie und vor allem Solarenergie. Wenn ich mir die Effizienz der Energiegewinnung anschaue, dann habe ich die größte Ausbeute bei Solarenergie. Wenn Fläche ein begrenzender Faktor ist, ist es also schlauer, auf Solar zu setzen als auf Agroenergie. Dennoch hat Biomasse ihre Berechtigung, da sie speicherbar ist. Mit Solarenergie habe ich diesbezüglich größere Probleme, da gibt es starke Schwankungen. Also bin ich über jeden Energieträger froh, der mir hilft, diese auszugleichen. Die Frage wird sein: Was, glauben wir, ist genug an Energieverbrauch? Wir werden lernen müssen, mit dem auszukommen, was wir zur Verfügung haben. Einerseits natürlich über höhere Effizienz, andererseits aber auch durch Verzicht.
Nun ist aber einmal unser gesamtes Wirtschaftssystem auf Wachstum ausgerichtet. Wenn wir weniger Energie einsetzen müssen, stellt dies nicht das gesamte System in Frage?
Zittel: Das System, wie wir es jetzt kennen, hat sich so entwickelt, weil Erdöl saubillig und in ausreichender Menge verfügbar war. Wenn dem nicht mehr so ist, wird es eine andere Struktur geben. Wir stehen vor einem Umbruch.
Wird dieser Umbruch ein Zusammenbruch sein oder ein sanfter Übergang?
Zittel: Das ist die Frage. Ein Aspekt dabei ist mit Sicherheit die Dynamik – was geht wie schnell. Wie schnell werden Öl, Gas und Kohle wegbrechen, wie schnell können wir sie durch Alternativenergie ersetzen. Das kann sehr verträglich ablaufen – von der Technologie her gibt es keinen Grund, warum das nicht so sein sollte. Es kommt aber ein wichtiger Faktor dazu: die Beharrungskräfte. Bei einer Wende gibt es immer zwei Sichtweisen. Die einen sehen neue Chancen, neue Geschäftsfelder und stürzen sich hinein. Die anderen aber verdienen so gut am Status quo, die wollen nichts ändern und verzögern damit den Umschwung. Das ist für mich die größte Gefahr: Dass wir zwar wissen, wir müssen etwas ändern, aber wir haben keine Lust dazu. Diese Lust haben wir erst dann, wenn der Druck so stark wird, dass es nicht mehr anders geht. Wenn es dazu kommt, erleben wir möglicherweise wirklich einen katastrophalen Umschwung. Oder, wie die Ökonomen ganz trocken sagen, wirtschaftliche Verwerfungen.
Dr. Werner Zittel kam auf Einladung von Grüne/UG, Bündnis für Eine Welt, Klimabündnis Kärnten u.a. nach Klagenfurt.